Kontinuierliche Verbesserung als Managementtechnik
3.3 Six Sigma
Die sogenannte Six Sigma-Methode29
ist auf ähnliche Verbesserungen wie das BPR ausgerichtet und
zählt somit ebenso zur ersten Sparte. Das Vorgehen ist dabei
jedoch viel strukturierter, weil es klar definierte und aufeinander
aufbauende Schritte durchläuft. Das Konzept kombiniert
unterschiedliche Techniken in Form von Einzelbausteinen und zur
besseren Akzeptanz und Einbettung in das Unternehmen werden spezielle
Promotoren
30
eingesetzt, die als Kompetenzverantwortliche das jeweilige
Verbesserungsprojekt vorantreiben. Für die operative Umsetzung
steht ein umfangreicher Methoden- und Werkzeugkatalog zur Verfügung.
„Hauptziel von Six Sigma ist es, Kundenbedürfnisse
vollständig und profitabel zu erfüllen“ (Toutenburg
& Knöfel, 2008, S. 2). Je nach Anforderung kann Six Sigma
auf einzelne oder mehrere Prozesse im Unternehmen angewendet werden.
Soll ein bereits bestehender Ablauf verbessert werden31,
wird dafür meist das sogenannte DMAIC-Verfahren
angewendet, bei dem nacheinander die fünf Phasen Define,
Measure, Analyze, Improve und Control
durchlaufen werden (vgl. Tabelle 2). Beim zu Grunde liegenden Prozess
wird zunächst dessen Leistungsfähigkeit dokumentiert. Erst
nach einer eigehenden Analyse auf Basis festgelegter Routinen werden
anschließend für die aufgespürten Fehlerursachen
Lösungen erarbeitet. Diese müssen im Prozess integriert und
überwacht werden.
Tabelle 2
– Die fünf Phasen des DMAIC-Verfahrens32
Define | Was ist das Problem? | Das Problem wird beschrieben und das Projekt wird gestartet. |
Measure | Wie groß ist das zu beseitigende Problem wirklich? | Das praktische Problem wird in ein statistisches übersetzt. Messdaten werden erfasst. |
Analyze | Wo liegen die Ursachen für das Problem? | Mithilfe der Messdaten werden die Grundursachen herausgearbeitet. |
Improve | Was ist die beste Lösung und was bringt diese ein? | Auf Basis der Grundursachen werden passende Lösungen entwickelt und verfeinert. |
Control | Wie kann die Nachhaltigkeit der Verbesserung sichergestellt werden? | Die Implementierung der Lösung wird angestoßen, und Steuerungsmechanismen zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit werden definiert. Die Verantwortung für den Prozess wird an die Linienorganisation zurückgegeben. |
Das „Besondere an der Prozessverbesserung durch Six Sigma besteht darin, dass Prozesse mittels statistischer Methoden analysiert, gemessen und kontrollierbar gemacht werden, bevor über mögliche Lösungen nachgedacht wird“ (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 10). Durch die Strukturierung der relevanten Daten in einer messbaren Form lassen sich die erzielten Erfolge in Kennzahlen abbilden. Im Gegensatz zu vielen anderen QM-Verfahren, die oft nur auf die Verbesserung der Qualität ausgerichtet sind, achtet „Six Sigma hingegen … gleichzeitig auf die Effizienz des Prozesses bzw. darauf, dass das Kundenbedürfnis bei effizientem Ressourceneinsatz befriedigt wird“ (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 10).
Weil in der zweiten Phase des DMAIC-Verfahrens der reale Ablauf im Unternehmen in ein mathematisches Modell übertragen werden muss, können nicht alle auftretenden Probleme mit dieser Methode gelöst werden. Desweiteren sind die statistischen Resultate nur repräsentativ, wenn der zu Grunde liegende Prozess genügend oft und immer in der gleichen Art und Weise durchlaufen wird.
Sind alle Einflussfaktoren auf das
Ergebnis des Prozesses messbar33,
kann der Prozess-Output Y als Funktion der einzelnen Inputvariablen
X1, …, Xn dargestellt und statistisch
ausgewertet werden: Y = f (X1, …, Xn).
Plakativ veranschaulicht wird dieser Zusammenhang in Abbildung 4.
Man kann dort gut erkennen, dass nicht der absolute Wert der
einzelnen Größen an sich von Bedeutung ist, sondern
vielmehr die jeweilige Varianz. Sie kann als Maß für
die Streuung der Zufallsgrößen X1, … Xn
um den jeweils erwarteten Mittelwert aufgefasst werden. Eng damit
verknüpft ist die sogenannte Standardabweichung σ
34.
Abbildung
4 – Einflussfaktoren
auf den Prozess-Output35
Mit der Six Sigma-Methode möchte man die gesamte Varianz des Prozesses verstehen und herausfinden, wo die Ursachen für die beobachteten Abweichungen liegen (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 16). Gibt es vorhersehbare Schwankungen oder liegen unsystematische Störungen vor, die beseitigt werden müssen? Auf Grund der vorausgesetzten Messbarkeit der einzelnen Größen kann der Kunde, der nach einem bestimmten Prozessabschnitt oder ganz am Ende des Prozesses einen bestimmten Output erhält, genaue Spezifikationsgrenzen festlegen, innerhalb derer der angeforderte Output liegen muss. So kann er zum Beispiel fordern, dass ein bestimmtes Metallstück mindestens 9,8 mm und höchstens 10,2 mm lang sein sollte (vgl. Abbildung 32 in Kapitel 5.1.8). Wird der Prozess sehr häufig durchlaufen, kann man diesem auf Grund von Stichprobenuntersuchungen ein spezielles Sigma-Niveau zuordnen. In der Praxis geht man meist davon aus, dass die tatsächliche Verteilung der Zufallsgrößen näherungsweise einer Normalverteilung entspricht. Grafisch lässt sich diese Normalverteilung als Gauß‘sche Glockenkurve darstellen, bei der der erwartete Zielwert in der Mitte liegt und am häufigsten auftritt. Je weiter man sich vom Mittelwert entfernt, umso geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsgröße den entsprechenden Wert annimmt. Möchte man mit der Problemlösung eine geringere Varianz erreichen, äußert sich dies (nach erfolgreicher Umsetzung) grafisch darin, dass die Kurve schmäler (und höher) wird (vgl. Abbildung 5). Damit liegen nämlich mehr Werte innerhalb der vom Kunden festgelegten Spezifikationsgrenzen (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 18).
Bei der Six Sigma-Methode bedient man sich einer ganz einfachen Metrik, an der man auch die Namensbedeutung „6σ“ begreift: „Man errechnet die Anzahl der Standardabweichungen …, die zwischen den Zielwert und die Spezifikationsgrenzen ‚passen‘. Diese Anzahl ist der Sigma-Wert … Ein Prozess hat sechs Sigma erreicht, wenn genau sechs Standardabweichungen dazwischen passen“ (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 19). Geht man von der Normalverteilung aus, bedeutet ein erreichtes Niveau von 6σ, dass 99,99966 Prozent der Realisierungen innerhalb der vom Kunden akzeptierten Grenzen liegen. Dies wiederum entspricht 3,4 Fehlerauftritten bei einer Million Fehlermöglichkeiten.
Abbildung
5 – Vergleich unterschiedlicher Verteilungen und
Spezifikationsgrenzen36
Es wäre zu kurz gedacht, wenn sämtliche Six
Sigma-Projekte als einziges Ziel ein Niveau von exakt 6σ
anstreben würden. Betrachtet man zum Beispiel
Herztransplantationen, könnte vom Krankenhaus eine (in diesem
Fall einseitige) Spezifikationsgrenze im Sinne von „alle
Patienten überleben die Operation mindestens fünf Tage“
festgelegt werden. Würde der Transplantationsprozess formal das
6σ-Niveau erreichen, wären 3,4 Tote bei einer Million
Eingriffen „im Rahmen“, was sicherlich nicht Ziel
beziehungsweise Sinn und Zweck dieser Methode ist37.
Gleiches gilt für Flugzeugabstürze oder ähnliche
Praxisbeispiele, bei denen der Raum zwischen den
Spezifikationsgrenzen beliebig klein wird. Dennoch kann 6σ auch
für die Optimierung solcher Abläufe eingesetzt werden und
sie enorm verbessern.
Es müssen auch nicht immer explizite Spezifikationsgrenzen angegeben werden. Diese dienen als Kontrollpunkte zur Überprüfung der Verbesserungen. Viel wichtiger ist jedoch die Verbesserung an sich und diese wird bei 6σ über das Verständnis und die Reduzierung der Prozessvarianz erreicht. Aber auch hier muss ein akzeptables Maß für die Varianz gefunden werden, um überflüssige und verschwenderische Optimierung an der gewünschten Stelle abzubrechen (vgl. unnötig hohe Sigma-Niveaus in Kapitel 4.1.4). „Grundsätzlich gilt: Das Qualitätsniveau muss so hoch sein, wie der Kunde es akzeptiert – zu dem Preis, den er dafür zu bezahlen bereit ist. Es geht bei Six Sigma nicht um die Steigerung der Qualität um jeden Preis, sondern um die profitable Erfüllung der Kundenbedürfnisse“ (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 21).
Fussnoten:
29
Obwohl Six Sigma namentlich erst Mitte der 1980er Jahre bei Motorola
und später dann insbesondere bei General Electric große
Popularität erlangt, gehen die Ursprünge dieser
statistischen Tool-Sammlung auf die Schiffsbaubranche in Japan
zurück. Die Bezeichnung „Six Sigma“ wird am Ende
des Abschnitts genauer erläutert.
30
Je nach Schulungslevel können sich Six Sigma-Experten gemäß
genau definierten Rollen beispielsweise als Green Belt, Black
Belt oder Master Black Belt zertifizieren lassen und an
entsprechenden Positionen bei Six Sigma-Verbesserungsprojekten
eingesetzt werden.
31
Es gibt auch Six Sigma-Methoden, die speziell für neu zu
entwickelnde Prozesse im Unternehmen konzipiert sind. Hierzu zählt
beispielsweise der sogenannte DMEDI-Verbesserungsprozess.
DMEDI steht dabei für Define, Measure, Explore,
Develop, Implement.
32
(Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 23)
33
In der Regel wird man hier zur besseren Handhabung fordern, dass die
einzelnen Einflussfaktoren soweit zerlegt sind, dass sie
untereinander unabhängig sind.
34
Die Standardabweichung einer Zufallsvariablen X ist definiert als
die positive Quadratwurzel der zugehörigen Varianz: σ = √VarX.
35
(Toutenburg & Knöfel,
2008, S. 16)
36
(Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 19)
37
Auch wenn statistisch betrachtet nachwievor viele Menschen bei einer
solchen Operation sterben ist kein einziger Tote hierbei
„akzeptabel“, also auch nicht die sehr geringe Zahl von
drei bis vier Toten pro Million. Hierbei sind andere Maßstäbe
als beispielsweise im produktiven Gewerbe ausschlaggebend.
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