Kontinuierliche Verbesserung als Managementtechnik
3.4 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)
Während man beim Business Process Reengineering und bei Six
Sigma vorhandene Fehler beheben möchte, setzt die
Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)38
einen Schritt früher an. „Der Grundgedanke der FMEA ist,
bereits bei der Planung eines Produktes die Fehler zu eruieren, die
eine einwandfreie Funktion behindern können“ (Dittmann,
2007, S. 35). Der Schwerpunkt liegt dabei auf der vorbeugenden
Verhütung von Fehlerauftritten und der Steigerung der
Zuverlässigkeit mit dem Ziel, potentielle, durch sie verursachte
Schäden so früh wie möglich einzudämmen. Meist
unterscheidet man drei Arten von FMEA (vgl. Tabelle 3), weil man
diese Auswirkungsanalyse je nach Einsatzgebiet und gewünschter
Betrachtungstiefe mit unterschiedlichen Zielsetzungen durchführen
kann. Ebenso kann es sinnvoll sein, die drei Arten miteinander zu
kombinieren.
Tabelle 3 – Arten der FMEA
39
System-FMEA | Übergeordnetes Produkt oder Systemverbund | Schwachstellen an den Schnittstellen der einzelnen Komponenten harmonisieren und die Anforderungen im Gesamten erfüllen. |
Konstruktions-FMEA | Einzelne Teile eines Produktes oder Systems | Potenzielle Ausfallmöglichkeiten und Mängel an den Teilen an sich untersuchen und in die Konstruktion einfließen lassen. |
Prozess-FMEA | Einzelne Schritte eines Fertigungsprozesses | Schwachstellen im Herstellungsprozess beseitigen, um eine fehlerfreie Produktion sicherzustellen. |
Ausgangslage für eine Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse ist die Erkenntnis, dass Probleme im fertig konzeptionierten Produktionsprozess in der Regel wesentlich schwieriger und aufwändiger behoben werden können als während der Konstruktionsphase. Dieser Zusammenhang wird oft auch als Rule of Ten (Verzehnfachungsregel) bezeichnet, weil auf Basis von Erfahrungswerten als Faustformel eine Verzehnfachung der Fehlerkosten pro Abschnitt realistisch erscheint (Wirtschaftslexikon24 - Rule of Ten).
Abbildung
6 – Fehlerverhütungs- versus Fehlerbehebungskosten („Rule
of Ten“)40
Abbildung
7 – Fünf Schritte einer FMEA und Berechnung der
Risikoprioritätszahl41
Wird eine Nichterfüllung von Erfordernissen am Produkt oder
am Produktionsablauf erst entdeckt, wenn der Artikel bereits in Serie
produziert wird, muss einerseits in die laufende Produktion
eingegriffen oder diese in gravierenden Fällen sogar gänzlich
gestoppt werden. Andererseits führt die Problembeseitigung an
einer Stelle im Ablauf meist auch zu weiteren Anpassungen an den
damit verknüpften Stellen und ein Fehler mit relativ geringer
Auswirkung, den man in der Konzeptionsphase mühelos beheben
hätte können, potenziert sich zu einem
ressourcenverschlingenden Problem und einer Kostenexplosion. Aus
diesem Grund ist es ratsam, die genauen Kundenanforderungen an das
fertige (Teil-)Produkt bereits in die Planung einzubinden42
und auf dieser Basis die Entwicklung in Gang zu setzen (vgl.
Abbildung 6).
Gleiches kann auch auf den Produktionsprozess an sich vom Lieferanten über die interne Weiterverarbeitung bis zur Auslieferung an den externen Kunden übertragen werden. Werden Mängel an einem Rohstoff oder einem Zwischenprodukt bereits beim Zulieferer von vorne herein verhütet, führt dies zu weniger Kundenbeschwerden und reduziert damit enorm die Ausgaben für eine Mängelbeseitigung im Nachgang.
Erklärtes Ziel von FMEA ist es, potenziell auftretende Fehler
frühzeitig zu erkennen und zu lokalisieren. Gleichzeitig ist es
dabei wichtig, die jeweiligen Gefahren, die sich aus solchen
Fehlerquellen für die Erfüllung der Anforderungen ergeben,
abzuschätzen, das heißt es „wird eine Risikoanalyse
durchgeführt. Für Fehler, deren Risiken als besonders
schwerwiegend für das Unternehmen anzusehen sind, werden
Handlungsanweisungen als Maßnahmen zur Fehlervermeidung
angesetzt“ (Dittmann, 2007, S. 37). Nun gilt es, diese
beschlossenen Maßnahmen umzusetzen und nach zu verfolgen, damit
sie nachhaltig den Ablauf verbessern können. Im Einzelnen
gliedert sich eine typische FMEA in die fünf Schritte, die in
Abbildung 7 dargestellt sind. Nach einer Strukturanalyse, bei der der
Untersuchungsgegenstand genau definiert und eingegrenzt wird, folgt
eine Funktionsanalyse. Hierbei werden die einzelnen Strukturelemente
in einen funktionalen Zusammenhang gebracht. Anschließend
werden Fehler, Fehlerursachen und Fehlerfolgen formal dargestellt und
über ein einfaches Punktesystem vergleichbar gemacht. In diesem
Schritt verteilen die meist interdisziplinären Teams43
Punkte von 1 bis 10 auf drei Komponenten (vgl. Tabelle 4).
Tabelle 4 – Schema zur Punktevergabe für die Faktoren der RPZ
Punkte für die RPZ | 1 | bis | 10 | |
B | Welche Bedeutung hat die Fehlerfolge für den Kunden? | gering | / | hoch |
A | Mit welcher Wahrscheinlichkeit tritt die Fehlerursache auf? | gering | / | hoch |
E | Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird die Fehlerursache noch rechtzeitig (z.B. vor Auslieferung an den Kunden) entdeckt? | hoch | \ | gering |
„Die in der Risikobewertung ermittelte Risikoprioritätszahl
(RPZ), die durch Multiplikation der Faktoren Bedeutung44,
Auftreten und Entdeckbarkeit ermittelt wird und Werte
von 1 bis 1000 annehmen kann, ist ein Maß für das
Gesamtrisiko jedes potentiellen Fehlers
45“
(Dittmann, 2007, S. 38). In der Praxis haben sich für die
Durchführung einer FMEA standardisierte Formblätter
etabliert, auf denen die einzelnen Schritte protokolliert werden. Ist
ein Formblatt korrekt ausgefüllt und mit den messbaren Faktoren
versehen, lässt sich aus der Priorisierung der einzelnen RPZs
schnell und einfach die Dringlichkeit im Sinne einer quantitativen
Rangfolge ablesen, mit der eine Fehlerursache abgestellt werden
sollte (vgl. Tabelle 5). Weil die Funktion nicht injektiv ist,
lässt sich daraus aber keine aussagekräftige, qualitative
Beurteilung des Risikos einer Ursache ableiten
46.
Führt man jedoch nach der Optimierung erneut eine
Risikobewertung durch, kann man an der Veränderung der RPZ den
Erfolg der Maßnahme einschätzen.
Tabelle 5 – Schematische Darstellung einer FMEA-Rangliste
47
Fehler | F-Folge | F-Ursache | B | A | E | RPZ | Rang | Konsolidiert |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
F1 | F1-Folge1 | F1-Urs.1 | 3 | 4 | 7 | 84 | 6. | / |
" | " | F1-Urs.2 | 3 | 8 | 5 | 120 | 5. | / |
" | " | F1-Urs.3 | 3 | 2 | 9 | 54 | 7. | / |
" | F1-Folge2 | F1-Urs.1 | 9 | 4 | 7 | 252 | 3. | 3. |
" | " | F1-Urs.2 | 9 | 8 | 5 | 360 | 2. | 2. |
" | " | F1-Urs.3 | 9 | 2 | 9 | 162 | 4. | 4. |
F2 | F2-Folge1 | F2-Urs.1 | 7 | 10 | 10 | 700 | 1. | 1. |
" | " | F2-Urs.2 | 7 | 4 | 1 | 28 | 8. | 5. |
Durch diese Konzeption gelingt der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse eine Symbiose aus einer breit angelegten Innovation und der kontinuierlichen Verbesserung. Einerseits kann eine FMEA einen großen Sprung nach vorne bedeuten, wenn ein neues Produkt oder ein neuer Prozess aufgesetzt werden soll und dabei versucht wird, systematisch von Beginn an nahezu alle potentiell auftretenden Probleme zu verhindern. Ein so geplanter Ablauf wird sich in der Regel gewaltig von früheren Konstrukten unterscheiden, wenn man bedenkt, dass laut einer Studie der Unternehmensberatung Holger Schaar & Partner normalerweise „bis zu 30 Prozent der Arbeitskapazitäten in den Unternehmen für die Beseitigung interner Fehler aufgewendet werden“ (Malorny & Kristian, 1994, S. 54) müssen.
Andererseits kann auch eine inkrementelle Verbesserung initiiert
werden, indem nach und nach alle Fehlerursachen (also auch die mit
einer eher geringen RPZ48)
bearbeitet werden und in einem regelmäßigen Rhythmus der
Fortschritt anhand einer erneuten Berechnung der RPZs sichtbar und
kontrollierbar gemacht wird.
Fussnoten:
38
Die Ursprünge von FMEA gehen auf das Apollo-Projekt der Nasa in
den 1960er Jahren zurück.
39
in Anlehnung an (Dittmann, 2007, S. 40)
40
in Anlehnung an (Schmitz, 2008)
41
in Anlehnung an (Dittmann, 2007, S. 47)
42
Dies klingt auf den ersten Blick trivialer als es in der Praxis
meist ist. Oft werden Nachbesserungen nötig, weil die
Kundenanforderungen zwar schriftlich festgehalten, aber auf Grund
von Missverständnissen oder unklaren Aufträgen nicht
vollständig realisiert werden. Nur ein klarer Auftrag kann auch
exakt ausgeführt werden.
43
Je nach konkreter Ausgestaltung des FMEA-Ablaufs führt entweder
ein Team alle fünf Schritte aus, oder es werden für
unterschiedliche Phasen themenbezogene Fachgruppen gebildet. Werden
beispielsweise nach der Fehleranalyse gezielt Experten hinzugezogen,
die die Risikobewertung der einzelnen Ursachen auf Basis früherer
Untersuchungen (Statistiken ähnlicher Produkte/Prozessabläufe
et cetera) durchführen können, dann wird man eine exaktere
Punkteverteilung erhalten, als wenn man die Bewertung auf Grund
persönlicher Einschätzung nach dem gesunden
Menschenverstand vornehmen lässt.
44
Die Bedeutung ist hier in dem Sinne zu verstehen, dass der Kunde
durch das Auftreten des Fehlers einen Qualitätsverlust
verspürt. Wird beispielsweise bei einer Maschine auf Grund des
Problems „Lieferengpass in der Schraubenproduktion“ die
ursprünglich vorgesehene Schraube durch eine andere,
gleichwertige ersetzt, dann wird dies der Endkunde nicht bemerken
und auch keinerlei Schaden davon tragen. Betrachtet man aber
beispielsweise den Monteur als internen Kunden, der sehr stark auf
die Verfügbarkeit korrekter Schrauben angewiesen ist, dann wird
dieser das Fehlen der Schrauben als gravierenden Mangel auffassen.
Die Bewertungszahl für die Bedeutung ist damit aus interner
Kundensicht sehr hoch.
45
Man beachte, dass ein Fehler einerseits mehrere Ursachen FU1,
…, FUn haben kann. Ebenso kann er andererseits
mehrere Folgen FF1, …, FFm nach sich
ziehen (wobei in der Regel n und m nicht gleich sind). Aus diesem
Grund erscheint es falsch, für jede Fehlerursache genau eine
RPZ zu berechnen. Vielmehr ist es in einem ersten Schritt nötig,
pro Fehlerursache genau m RPZs zu berechnen. Weil man mittels einer
FMEA ja gerade die Fehlerursachen beheben möchte, können
die doppelt aufgelisteten Ursachen dann allerdings sinnvollerweise
konsolidiert werden. Die verwertbare RPZ (und damit ihr
Dringlichkeitsrang) einer Ursache ergibt sich aus dem Maximum der
zugehörigen m RPZs.
46
Eine RPZ von 180 kann sich beispielsweise aus mehreren Kombinationen
der einzelnen Faktoren ergeben: Ursache 1: B1=4, A1=9,
E1=5 => RPZ1 = 4x9x5 = 180 und Ursache 2:
B2=10, A2=3, E2=6 => RPZ2
= 10x3x6 = 180. Die zweite Fehlerursache, die eine enorme Bedeutung
für den Kunden hat und auch nur mäßig entdeckt wird,
wird hier sicherlich gravierender eingeschätzt werden als die
erste, die zwar häufig auftritt, aber eine geringere Auswirkung
auf das Ergebnis hat.
47
Diese schemenhafte Darstellung entspricht nicht dem Standard der
FMEA-Formblätter. Auf eine exakte Nachbildung wird verzichtet,
damit die wesentlichen Aspekte klarer zum Vorschein treten können.
Alternativ würde sich anstelle der Listenform auch eine
Matrixdarstellung anbieten.
48
An dieser Stelle muss abgewogen werden, ob eine Fehlerursache
überhaupt abgestellt oder zumindest optimiert werden kann und
ob dies auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Letzteres ist eine
Entscheidung, die das Management in Hinblick auf seine Ziele treffen
muss.
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