Kontinuierliche Verbesserung als Managementtechnik
3.5 Anregungen aus Japan aufnehmen
Die bisher vorgestellten Methoden Business Reengineering, Six
Sigma und FMEA zielen in der Regel auf technische Verbesserungen im
größeren Stil ab. Und dies nicht ohne Grund: „85
Prozent der Ursachen für die Nicht-Erfüllung von
Kundenanforderungen liegen bei den Prozessen und den unterstützenden
Systemen“ (Toutenburg & Knöfel, 2008, S. 8). Dies
behauptet zumindest einer der Väter der Qualitätsbewegung
und der prozessualen Sichtweise, William Edwards Deming49,
dem wir uns später noch genauer widmen werden. Trotz dieser
Kenntnisse gibt es zwischen einzelnen Unternehmen gewaltige
Unterschiede in Punkto Profitabilität, auch wenn diese ihre
Abläufe – mit welcher Methode auch immer – in
technischer Sicht auf Vordermann gebracht haben. Viele
Wissenschaftler und Qualitätsverantwortliche in aller Welt sehen
einen wesentlichen Grund für diese Differenzen in der Verwendung
von ursprünglich aus Japan stammenden Organisationskonzepten.
Und auch die dortige Lebens- und Unternehmenskultur scheint einen
großen Anteil daran zu haben, dass uns die Japaner nachwievor
in einigen Bereichen überlegen sind (Malorny &
Kristian, 1994, S. 46).
Aber woran liegt
es, dass japanische Betriebe oft deutlich profitabler organisiert
sind als die hiesigen Konkurrenten?50
Einige Gründe hierfür sind seit der oft zitierten
MIT-Studie am Massachusetts Institute of Technology in
Cambridge im Rahmen des International Motor Vehicle Programs von 1985
bis 1991 wohl bekannt. „Die Ergebnisse, zu denen die
Wissenschaftler kommen, sind verblüffend einfach … Der
Hauptunterschied … liegt in dem Führungsverständnis,
das in japanischen Unternehmen auf den Konsens hin ausgerichtet ist
und eine ganzheitliche Betrachtungsweise präferiert.
Offensichtlich können japanische Unternehmen die Kreativität
und das Engagement der Mitarbeiter besser nutzen, als dies bei uns
der Fall ist“ (Malorny & Kristian, 1994, S. 48). Die
Konsequenzen dieser Unterschiede werden durch schlagkräftige
Statistiken belegt, wie sie in Abbildung 8 nachzulesen sind. Gerade
die Zahl der Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter pro Jahr,
die in Japan mehr als das 150-fache der durchschnittlichen Vorschläge
in den westlichen Wirtschaftsräumen beträgt, ist hier als
deutlicher Hinweis auf eine andere Unternehmenskultur zu begreifen,
die aus einem ganz anderen kulturellen Umfeld erwächst. Eine
weitere Untersuchung der Kienbaum-Beratung aus dem Jahre 1993
identifiziert sogenannte weiche Faktoren als Schlüsselaspekte:
Motivation, Kreativität, Psyche der Mitarbeiter (Malorny &
Kristian, 1994, S. 50).
Abbildung
8 – Automobilhersteller im Vergleich51
Freilich sind solche Schlagworte heute auch in Europa weit
verbreitet und jeder typische Erfolgsfaktor japanischer Unternehmen
ist für sich betrachtet erforscht, klassifiziert und
dokumentiert. Dennoch scheitern viele westliche Firmen noch immer
daran, die in Japan tief verwurzelten Unternehmensphilosophien
hierher zu übertragen. Dies könnte einerseits daran liegen,
dass Europa eben nicht Japan ist und diese Ansätze so auf Basis
der europäischen Fundamente und historischen Erfahrungen von
klein auf kultiviert werden müssen. Die japanische Mentalität
ist eine andere als unsere. Viele Japaner haben ein ausgeprägtes
Harmoniebedürfnis im Bezugsrahmen einer Gruppe, in der eine
Politik der kleinen, gemeinsamen Schritte erwächst und das
Vorwärtskommen der Gemeinschaft deutlich mehr zählt als das
einzelner Überflieger52.
Westliche Stärken sind hingegen im Bereich der Individualität,
Innovationskraft und Genialität Einzelner angesiedelt. Gerade
hieran erkennt man, dass die in Abbildung 8 aufgeführten Zahlen
teilweise mit Vorsicht zu genießen sind. Zeichnet sich
beispielsweise ein deutscher Autobauer gerade durch seine innovativen
und neuartigen Komponenten aus, für die es weltweit noch
keinerlei Vergleichsmodelle gibt, ist es nicht sehr verwunderlich,
dass bei der Herstellung dieses Fahrzeuges mehr Montagefehler
geschehen als bei Modellen, die schon mehrere Jahre (mit nur kleinen
Veränderungen) erfolgreich gefertigt werden
53.
Neuentwickelte Techniken können schlichtweg auf Grund der kurzen
Historie in der Regel nicht so qualitätsstabil produziert
werden
54.
Es wäre fatal, die westlichen, durchaus positiven Charakterzüge durch fremde restlos ersetzen zu wollen. Vielmehr sollte das Ziel sein, sie teamfähig zu machen (Traeger, 1994, S. 3) und sie mit den japanischen zu kombinieren. Nahezu jeder Wirtschaftsraum hat seine kulturspezifischen Vorzüge, die für andere Länder als positive Anregungen genutzt werden können.
Fussnoten:
49
1900 bis 1993. Interessanterweise erlangen die Konzepte Demings
zuerst (in den 1950er Jahren) in Japan große Anerkennung. Dort
wird ihm die Möglichkeit gegeben, seine Ideen einer
Prozessorientierung und der enormen Verantwortung des
Top-Managements für die Qualität der Wertschöpfung
einem hochkarätigen Publikum vorzustellen. Während seine
Managementlehre in seiner Heimat vorerst wirkungslos verhallt, fällt
sie bei japanischen Firmen – unter anderem auch Toyota (vgl.
Kapitel 4.2) – auf fruchtbaren Boden (Deming, 2004). Erst nach
der Ausstrahlung einer Fernsehdokumentation im Jahre 1980 werden die
Amerikaner wachgerüttelt und begehren fortan Deming als einen
sehr gefragten Unternehmensberater (Wiki-Deming).
50
Hier ist durchaus eine differenziertere Sichtweise interessant. Man
vergleiche dazu insbesondere Kapitel 4.2.1.
51
(Malorny & Kristian, 1994, S. 47); Datenquelle: International
Motor Vehicle Program, MIT, unveröffentlichte Working Papers
1986-1989
52
In vielen Großunternehmen in Japan gibt es eine lebenslange
Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiter. Damit entfällt
ein Großteil der Angst vor Rationalisierungsmaßnahmen
und diese finden damit eine breite Unterstützung. Allein schon
aus diesem Grund fällt es europäischen Firmen in der Regel
schwerer, ihre Organisation zu entschlacken.
53
Mit der gleichen Argumentation müsste dann aber auch die Zahl
der Verbesserungsvorschläge bei den westlichen Produktionen
deutlich höher sein als bei solchen, die auf lang etablierte
und bewährte Techniken zurückgreifen.
54
Wobei natürlich gerade dies der Anspruch einer FMEA ist, ein
Automodell bereits in der Planung auf eine starke
Qualitätsstabilität auszurichten.
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