Kontinuierliche Verbesserung als Managementtechnik
5.2.05 Die Problemspeicher-Sitzung
Nach der Arbeitsplatzbegehung findet die gemeinsame Erstellung eines Problem- und Potentialspeichers (kurz: Problemspeicher) in den einzelnen funktionalen Gruppen unter der Leitung des hierfür geschulten Moderators statt. Es gehört zu seinen Aufgaben, die Teilnehmer rechtzeitig über den Sitzungstermin und das Ziel dieser Veranstaltung zu informieren. Damit wird erreicht, dass sich die Personen schon vorab über mögliche Probleme Gedanken machen und sie sich die genannten Punkte bei der Arbeitsplatzbegehung wieder vergegenwärtigen. Ebenso ist der Moderator für die organisatorische Vorbereitung (Raum reservieren, Materialien bereitstellen, …) der circa 30 Minuten dauernden Sitzung verantwortlich. Zentrales Element der Problemspeicher-Sitzung ist eine Pinnwand, auf der in der Mitte das sogenannte ViT-Problemspeicher-Poster (vgl. Abbildung 40) in der Größe DIN A1 befestigt wird.
Abbildung
40 – Pinnwand für die Problemspeicher-Sitzung126
Abbildung
41 – Unterschiedliche Problemkomplexitäten und zugehörige
Methoden127
In dieses Poster werden während der Sitzung alle Probleme
eingetragen, die mit der sogenannten ViTbasic-Methode
(vgl. Kapitel 5.2.6) gelöst werden sollen, einer einfachen
Methode für die Lösung von Schwierigkeiten in einem Bereich
beziehungsweise bei einer Tätigkeit. Rechts und links neben
diesem Poster wird für diejenigen Punkte ausreichend Platz
reserviert, für die andere Lösungsmethoden vorgesehen
werden (zum Beispiel ViT2, ViTSPO
128,
5A-Workshops, Projekte, Prozesse oder Sonstiges; vgl. Kapitel 5.2.7
und Abbildung 41). Die Pinnwand dient den Teilnehmern einerseits als
Visualisierungsmittel während der Sitzung als auch als Protokoll
der Ergebnisse.
Als Rhythmus für die Problemspeicher-Sitzung wird ein Zeitraum von circa sechs Monaten vorgeschlagen. Dieser Wert hat sich bewährt, weil nach jeder Sitzung mehrere cross-funktionale Meetings abgehalten werden, um die im Problemspeicher genannten Aspekte abzuarbeiten. Ein kontinuierlicher Prozess der Verbesserung zeichnet sich gerade durch viele kleine Veränderungen aus, aber auch diese müssen mit einer gewissen Bedächtigkeit in den laufenden Betrieb integriert werden.
Zu Beginn der Problemspeicher-Sitzung stellt der Moderator den Teilnehmern erneut die Frage, was sie von ihrer täglichen Arbeit am meisten abhält (vgl. Kapitel 5.2.4). Daraufhin schreiben die Teilnehmer diese Aspekte auf gelbe Problemkärtchen. „Nur wenn Probleme im kollegialen Miteinander gesammelt und besprochen werden, besteht die Chance, dass diese als gemeinschaftliche Probleme erkannt und in kollektiver Anstrengung angegangen und beseitigt werden“ (Wahren, 1998, S. 126). Das jeweilige Problem und die Auswirkung dieses Mangels sollen möglichst konkret formuliert werden und den aktuellen Ist-Zustand widerspiegeln (keine Wunschvorstellungen). Wichtig ist die Angabe einer Tendenz anstatt eines einzelnen Schlagwortes, denn ansonsten ist im Nachhinein nicht mehr klar, was mit dem Begriff gemeint ist. Der Moderator weist die Teilnehmer ebenso darauf hin, keine Lösungsvorschläge oder Ursachen für ein Problem zu benennen. Dies ist Aufgabe der Problemlöse-Sitzungen und würde an dieser Stelle den zeitlichen Rahmen sprengen und gleichzeitig Denkblockaden fördern. Dazu ein Beispiel aus einer von mir betreuten Problemspeicher-Sitzung, in der ein Teilnehmer folgendes Problem nennt: „Unterschiedliche Betriebssysteme und Programmversionen in verschiedenen Unternehmen führen zu Schwierigkeiten bei der Übertragung von Dokumenten“. Daraufhin bemerkt ein anderer Teilnehmer, dieses Problem sei ein globales Problem und wäre nur durch eine Vereinheitlichung aller Systemkomponenten weltweit in den Griff zu bekommen. Dies sei utopisch und man solle daher das Problem nicht in den Speicher aufnehmen. Mit dem Hinweis darauf, dass es sich hierbei schon um eine Diskussion der Lösungsfindung handle, unterbricht der Moderator und trägt das Problem mit Zustimmung der Teilnehmer in das Problemspeicher-Poster ein. In der zugehörigen ViTbasic-Sitzung zeichnet sich nach dem Durchlauf der einzelnen Verfahrensschritte (vgl. Kapitel 5.2.6) eine durchaus praktikable und von allen Teilnehmern getragene Lösung ab, die aus mehreren konkreten Aktivitäten besteht (vgl. Tabelle 11).
Insgesamt soll das Schreiben der Problemkärtchen maximal fünf bis zehn Minuten dauern. Falls extrem viele Kärtchen geschrieben werden, kann der Moderator die Teammitglieder bitten, jeweils nur die zwei oder drei aus ihrer Sicht wichtigsten Probleme abzugeben.
Tabelle 11 – Aktivitäten zur Beseitigung von Übertragungsproblemen
Wer? | Macht was? | Wann? | |
1 | Hr. Kaffel | Erstellung (und Pflege) einer Liste mit Angabe der Versionen der Office-Programme, die bei Partnerunternehmen installiert sind | 15.10.09 |
2 | Fr. Mang | Erstellung eines Leitfadens zum Vorgehen beim Versand von Dokumenten per Email. Zentrale Inhalte:
| 31.10.09 |
3 | Fr. Mang | Kapitel in Schulungsunterlagen für neue Mitarbeiter einfügen: „Wie beschränke ich mich der Erstellung von Dokumenten auf allgemeingültige Komponenten, Schriftarten, Spezialeffekte …?“ | 01.02.10 |
Im nächsten Schritt werden die Kärtchen kurz gemischt und nacheinander vom Moderator vorgelesen. Der Nenner des Problems erhält die Gelegenheit, erklärende Worte auszusprechen und das Problem genauer zu schildern. Sollte der Text auf dem Kärtchen sehr allgemein formuliert sein, kann der Moderator zum Beispiel durch fünfmaliges Warum-Fragen (vgl. Abbildung 22 in Kapitel 4.2.4) das Problem eingrenzen. Dies ist auch bei solchen Problemen sinnvoll, die tatsächlich sehr allgemein und übergreifend sind. In einem Verbesserungsprozess, der auf Gruppenaktivitäten in den unteren Ebenen eines Unternehmens basiert, können in der Regel greifbare Probleme viel besser behandelt werden. In vielen Fällen spricht nichts dagegen, ein abstraktes Hindernis an einem konkreten Spezialfall zu behandeln und dann von dieser Lösung ausgehend weiterzumachen oder diese zumindest als Anregung wahrzunehmen. Abbildung 42 zeigt ein Problemkärtchen, das mit roter Farbe durch den Moderator ergänzt wurde. Ohne dieses genaue Eingrenzen des Problems wäre eine weitere Bearbeitung kaum möglich.
Abbildung
42 – Ein durch den Moderator ergänztes
Problemkärtchen129
Je öfter die funktionalen Gruppen gemeinsam eine Problemspeicher-Sitzung abgehalten haben, umso genauer werden die Kärtchen von den Teilnehmern formuliert. Man kann davon ausgehen, dass nach ein paar Durchläufen die meisten Kärtchen auch ohne Ergänzung den Anforderungen entsprechen.
Daran anschließend entscheidet die Gruppe, in welche
Kategorie das Problem eingeordnet wird. Zur Orientierung dient eine
Klassifizierung der Problemkomplexität auf Basis einer groben
Einschätzung. Für die Entscheidung zwischen den drei
ViT-Methoden kann einem genauen Ablaufdiagramm gefolgt werden (vgl.
Abbildung 43)130.
Interessanterweise werden in der Problemspeichersitzung meist über
70 Prozent der Probleme der ViTbasic-Methode zugeordnet,
unabhängig von der Branche, aus dem das Unternehmen stammt
(KC-Führungskräfteinfo, 2009, S. 24).
Abbildung 43 – Ablaufdiagramm zur Wahl der richtigen ViT-Methode
Gründe für diese Verteilung sind einerseits sicherlich in der Konzeption des ViT-Systems zu suchen. Andererseits geraten solche eher kleineren und gut abgrenzbaren Mängel auf Grund einer vergleichsweise niedrigen Priorität seltener in den Fokus der Bereichsleiter. In den Köpfen der Mitarbeiter bleiben sie nachwievor als Störfaktor bestehen. In einem systematischen KVP kommen sie zum Vorschein und können in Summe betrachtet enorme Potentiale für das Unternehmen lokalisieren und freisetzen.
Im weiteren Verlauf der Problemspeicher-Sitzung werden alle Kärtchen auf diese Art und Weise behandelt und den entsprechenden Problemlösemethoden zugeordnet. Wird ein und dasselbe Problem mehrfach genannt, hängt der Moderator all jene Kärtchen an die gleiche Stelle auf der Pinnwand.
Abbildung
44 – Vollständig ausgefülltes
Problemspeicher-Poster131
Im nächsten Schritt werden zunächst die mehrfach
genannten Problemkärtchen zu einer einzigen Karte verdichtet,
indem die Gruppe diejenige mit der besten Formulierung auswählt
und mit einem Hinweis auf Mehrfachnennung versieht. Jeder Teilnehmer
erhält zwei rote Klebepunkte, die er auf die Problemkärtchen
innerhalb des Problemspeicher-Posters verteilen kann. Damit wird
unter allen Problemen, die der ViTbasic-Methode zugeordnet
sind, eine von der Gruppe getragene Prioritätenrangliste
erstellt. Diese legt die Reihenfolge für die Abarbeitung der
einzelnen Themen in einzelnen ViTbasic-Sitzungen (vgl.
Kapitel 5.2.6) fest. Sollten mehrere Kärtchen gleich viele
Punkte erhalten, erhält dasjenige den höheren Rang, das
entweder mehrfach genannt wurde, oder in einer kurzen
Gruppendiskussion als dringlicher eingestuft wird. Problemkarten, die
von keinem Teammitglied bepunktet wurden, werden nicht weiter
behandelt, können aber bei einer späteren
Problemspeicher-Erstellung erneut eingebracht werden. „Wenn
Mitarbeiter aufgefordert werden ihre Probleme zu erfassen, werden
zumeist ganz unterschiedliche Themen genannt. Erst wenn die zu Tage
geförderten Probleme in ihrer Gesamtheit gesehen werden, kann
man erkennen, was wesentlich ist und was nicht. Das Bewerten von
Problemen im kollektiven Miteinander bewirkt, dass man Wichtiges von
Unwichtigem trennt und schlussendlich diejenigen Probleme
herausgefiltert werden, deren Lösung aus Sicht der Gruppe
bedeutsam erscheint“ (Wahren, 1998, S. 126). Für die
Mängel, die den anderen Methoden zugeordnet sind, ist keine
Priorisierung vorgesehen, außer es werden in einem
Komplexitätsbereich mindestens fünf Probleme genannt132.
Gemäß der Rangfolge der Themen im Problemspeicher wird für jedes einzelne Kärtchen ein konkreter Termin festgelegt, an dem das Problem in einer ViTbasic-Sitzung behandelt werden soll. Der Moderator frägt in der Runde nach, wer daran teilnehmen möchte und voraussichtlich einen Beitrag für die Problemlösung liefern kann. Verpflichtender Teilnehmer ist der Problemnenner. Im Idealfall nehmen insgesamt vier bis sieben Personen teil. Falls nötig können auch Personen aus anderen Bereichen für diese Sitzung eingeladen werden (cross-funktionaler Charakter). Die Daten werden in die entsprechenden Felder des Problemspeicher-Posters eingetragen (vgl. Abbildung 44).
Im letzten Schritt der Problemspeicher-Sitzung wird das weitere
Vorgehen für die Probleme, die mit den anderen Lösungsmethoden
bearbeitet werden, festgelegt, terminiert und an die entsprechenden
Personen delegiert. Damit wird erreicht, dass alle genannten (und
gegebenenfalls bepunkteten) Probleme nicht nur angesprochen, sondern
tatsächlich in Angriff genommen und weiter verfolgt werden133.
Fussnoten:
126
in Anlehnung an (KC-Moderatoren, 2009, S. 38)
127
in Anlehnung an (KC-Moderatoren, 2009, S. 14)
128
Das Kürzel SPO steht für Systematische
Prozessoptimierung.
129
in Anlehnung an das in Kapitel 4.1.2 erwähnte Beispiel aus der
Nahrungsmittelindustrie
130
Die Frage der Komplexität kann an dieser Stelle noch nicht
abschließend beantwortet werden, weil sich unter Umständen
bei der Suche nach Ursachen neue, bislang unvermutete Zusammenhänge
ergeben. In einem solchen Fall kann nachträglich je nach Bedarf
gewechselt werden.
131
Anonymisiertes Poster einer realen Problemspeicher-Sitzung aus dem
Jahr 2008 von einem Kunden der Karer Consulting in Anlehnung an
(KC-Moderatoren, 2009, S. 50).
132
Ausgenommen hiervon sind diejenigen Probleme, die unter „Sonstiges“
platziert werden (vgl. Kapitel 5.2.7).
133
An dieser Stelle kann der Fall eintreten, dass die funktionale
Gruppe zur Lösung eines Problems ein Projekt starten möchte,
dieses aber seitens der Führungskräfte nicht genehmigt
wird. Gerade bei sehr aufwendig zu behebenden Mängeln muss hier
Rücksprache mit den Verantwortlichen gehalten werden, aber
durch die schriftliche Festlegung wird diese Rücksprache
zumindest initiiert. In der Regel nimmt auch der Bereichs- oder
Abteilungsleiter an der Problemspeicher-Sitzung teil, so dass hier
im Zweifelsfall ohne große Umwege geklärt werden kann,
was prinzipiell machbar ist und was auf Grund von getroffenen
Entscheidungen keine Chance auf Umsetzung hat.
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